Logbuch
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Ile à Vache, Haiti, und Port Antonio, Jamaica
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Mittwoch 16. – Sonntag, 27. April 2008

Als wir aufwachen, regnet es. Martin beginnt mit der Revision der grossen Winsch auf der Steuerbordseite. Er muss ein wenig daran feilen. Ich geselle mich zu ihm und wir putzen alle Teile, fetten sie neu und setzen die Winsch wieder zusammen. Herrlich, wie rund sie wieder läuft! Nachmittags haben wir mit Jude Placide für die Dorfbesichtigung von Cacoq abgemacht. Es ist, als ob die Zeit stehen geblieben wäre: auf dem Dorfplatz bieten ein paar Frauen ein beschränktes Angebot an Waren feil wie Zahnbürsten, Zahnpasten, Seifen. Was uns eigentlich wundert angesichts der massiven Karies, die wir bei vielen Menschen hier angetroffen haben. Vermutlich fehlt es auch dafür an finanziellen Mitteln. Ein paar Schritte weiter sitzen Fischer auf niedern Stühlen und flicken – ein malerischer Anblick – unter einem riesigen Baum ihr Netz. Wir kommen auch an dem Ort vorbei, wo Holzschiffe hergestellt werden und betrachten die rumliegenden Bootsgerippe. Wir durchqueren das Dorf und nehmen einen Nebenweg, wo wir an Palmhäusern vorbei kommen. Im Schlamm draussen stehen auf wackeligen Beinen niedere Strohdächer, deren Sinn uns entgeht. Jude klärt uns auf, dass auf diesen Flächen Fische in der Sonne getrocknet werden, bevor man sie auf den Markt in Madame Bernard bringt. Naturmethode.

   
Boot im Bau   Netz ohne Fischer   Fische trocknen für den morgigen Markt


Auch an der Bibliothek, welche von einer Kanadierin aufgebaut worden ist, kommen wir vorbei. Leider ist sie vorüber gehend geschlossen. Wie lange dieser Zustand wohl andauert? Nachdem wir uns bei Jude bedankt und verabschiedet haben, gehen wir zu Villeme’s Grossmutter einen Kaffee trinken. Sie hält mir eine längere, emotional sehr engagierte Rede in Patois. Ich verstehe sehr wohl, dass sie uns bittet, ihrem Enkel finanziell unter die Arme zu greifen, damit er sich einen Pass beschaffen kann, da sie um sein Leben fürchtet, solange er auf der Ile à Vache wohnt. Villeme schenkt uns ein paar Souvenirs von Haiti. Als wir aus dem Haus kommen, erwartet uns bereits Pierre, der tags zuvor unsere Pässe abgeholt hatte, um die Ein– und Ausreiseformalitäten zu erledigen. Zu dritt rudern wir im Dinghi erst zu Ty Tom, den Franzosen, liefern deren gestempelte Pässe ab, trinken noch ein Bier, dann zu uns, ein weiteres Bierchen und Pierre erläutert uns die von ihm ins Leben gerufenen Institutionen zur Unterstützung von Waisen und Halbwaisen. Die Not auf der Ile à Vache ist beinahe grenzenlos.

   
Bibliothek von Cacoq   Cacoq   Vor dem Dorf


Am Donnerstag gehen Denise und Yves von der Ty Tom zu Fuss auf den Markt in Madame Bernard. Ich backe eine Müeslimischung, haushalte, während dem Martin sich erneut um die Ankerwinsch kümmert. Danach sichere ich ihn auf den Mast: die LED–Birne für das Navigationslicht ist im Eimer. Sie hat keine 100’000 Stunden auf dem Buckel!!! Der Ersatz, welchen wir eingeschickt und als in Ordnung deklariert wieder zurück erhalten haben, funktioniert ebenfalls nicht. Super. Das nennen wir Kundendienst. Martin nimmt die Lampe, die in Betrieb war und flickt sie mit Hilfe einer kleinen Schraube. Es funktioniert. Anschliessend kontrollieren wir die Steuerumlenkrollen. Sie funktionieren reibungslos, was uns ausserordentlich freut. Als wir unsere Arbeiten abgeschlossen haben, kommt Felix in einer Piroge vorbei. Er bräuchte hundert Dollar, um sein Flugticket umbuchen zu können.... Gegen abend gehen wir ins Restaurant des Franzosen, wo wir gerne essen würden. Der Chef ist nicht da und die Bedienung erklärt uns, dass essen nur nach Voranmeldung möglich ist. Schade, so begnügen wir uns mit einem Bierchen und erkundigen uns, ob wir den USB–Stick bringen könnten anderntags. Klar, kein Problem. Die Bucht, in der Suleika vor Anker liegt, heisst Port Morgan, weil sich hier im 17. Jahrhundert der berühmt–berüchtigte Pirat Henry Morgan mehrfach versteckt gehalten hat.

   
Suleika in Port Morgan    

Wir widmen uns den Fotos für den Logbucheintrag. Als alles vorbereitet ist, rudern wir an Land und erklimmen den Hügel Richtung Internet. Heute ist die Chefin da und erklärt uns, dass der Cömpi so alt ist, dass er keinen USB–Stick–Eingang hat... Zurück zum Schiff, unser Notebook eingepackt. Gerade als wir wieder lospaddeln, kommen Vilna und Doudou angerudert. Vilna hat einen ganz bösen Schnitt im kleinen Zehen und Kopfweh. Wir geben ihr eine Salbe und Kopfwehtabletten. Danach gehen wir wieder auf den Hügel. Wir dürfen unser Notebook an die Leitung anhängen, was wunderbar klappt. Vielen Dank! Wir schicken die Fotos in die Schweiz. Gerne würden wir die Empfehlung, welche wir für Jude geschrieben haben, drucken, doch das ist leider nicht möglich. Wir bringen das Notebook zurück zum Schiff und gehen zur Nachtessenseinladung bei Villeme. Es ist uns klar, dass er gerne Unterstützung von uns hätte. Seine Schwester ist extra vorbei gekommen, um für uns zu kochen: Poulet, Reis mit Bohnen, Sauce mit Tomaten und Peperonis und Kochbananen. Auch sein Freund Willston ist zum Znacht da. Wir besprechen Villemes Lage bezüglich der Passbeschaffung und wir versprechen ihm, ihn mit einem Geldbetrag zu unterstützen. Er wird diesen Morgen im Schiff abholen kommen.

   
Willston, Villeme und Martin    

Am Samstag winken wir Ty Tom in aller Frühe, als sie unter Segel und Motor die Bucht verlassen. Villeme holt das Geld ab und Cama kommt vorbei und erklärt uns, es sei ein Problem, wenn wir die Bierflaschen mitnähmen... Wir regeln das mit ihm und bezahlen pro Flasche gleich viel Depot wie das Bier gekostet hat. Jä nu. Wir bereiten Suleika auf die Reise vor, legen das Dinghi zusammen, essen noch einen Salat und los geht es. Als wir unter Motor die Bucht verlassen, kommt Daniel noch in unsere Nähe und möchte auch noch einen Obolus, den wir ihm verweigern. Wir entspannen erst richtig, als wir auch die grosse Bucht hinter uns gelassen haben. Als die Nacht kommt, merken wir, dass wir eine Grille an Bord haben. So kann derjenige, der schläft, die Gesellschaft von Momo, unserem Lämmchen, geniessen und die Person auf Wache dem Konzert der Grille lauschen :–).

   
Wir segeln Schmetterling    

Die ganze Nacht sehen wir einige Frachtschiffe, doch alles schön weit weg und ungefährlich. Bis auf eine Dreiviertelstunde Segeln motoren wir den ganzen Sonntag. Wir füllen unsere 30 Liter Reservediesel in den Tank, was eine ziemliche Übung ist beim Wellengang des Meeres. Doch schaffen wir es, ohne dass Salzwasser in den Tank schwappt. Wir spannen aus, erholen uns von der finanziellen Misere, die auf der Ile à Vache herrscht. Auch heute Abend zirpt die Grille an Bord bei Mondschein.

Als der Morgen graut, zeichnen sich die Umrisse von Jamaica am Horizont ab. Der Name Jamaica – ursprünglich Xamaica – stammt von den Arawakindianern und bedeutet "Land aus Wald und Wasser". Näherkommend können wir die Kette der Blue Mountains ausmachen. Ein wunderschöner Anblick. Als wir um acht Uhr fünfzehn in Port Antonio ankommen, stellen wir fest, dass sowohl SY Yvonne als auch SY Ty Tom bereits im Hafen liegen. Sooo schön, Freunde zu treffen. Wir werden auf Kanal 16 angewiesen, zu ankern und auf die Behörden resp. andere Anweisungen zu warten. Als ich den Anker runterlasse, merke ich, dass die Ankerwinsch wieder klemmt.... Nach einer Weile funken sie uns von der Marina an und offerieren uns einen Platz im Hafen. Wir nehmen an und verlegen ans Quai. Die Offiziellen für Gesundheit, Zoll und Immigration defilieren an uns vorbei mit ziemlich ausgiebigem Papierkram. Als alle Papiere ausgefüllt, unterschrieben und gestempelt sind, gehen wir ins Hafenbüro und checken ein. Nachmittags holen wir den verpassten Schlaf nach und sind um achtzehn Uhr dreissig von Penny und Mike auf der SY Yvonne zum Sundowner geladen. Es gibt viel zu erzählen und die Zeit vergeht wie im Flug. Zurück auf Suleika essen wir und legen uns aufs Ohr.

   
Jamaika mit den Blue Mountains    

Am Dienstag gilt mein erster Gang – noch vor dem Zmorge – der Wäsche. Ich fülle die zwei Maschinen und bin froh, das in aller Frühe gemacht zu haben, da sich im Verlauf des Morgens die Dreckwäsche in der Laundry stapelt... Martin putzt mit dem Schlauch unseren total verschlammten Anker. Die Stimmung in der Errol Flynn Marina ist ausgesprochen friedlich, die Lage idyllisch. Martin tauscht sich am Nachmittag mit Mike aus, was unsere künftigen Kubapläne angeht und Penny zeigt mir, wo im Städtchen der Geldautomat und der Supermarkt sind. Zudem führt sie mich bei der Marktfrau Norma ein, die sich für Segler sehr bewährt hat. Norma verfügt über ein breites Angebot von Früchten und Gemüse und ist für faire Preise bekannt.

   
Unser aktuelles Lieblingsbier    

Einmal stellen wir fest, dass wir eigentlich früher aus den Federn sollten. Dann wäre der Morgen noch etwas kühler... Wir machen unseren ersten gemeinsamen Ausflug ins Städtchen. Wir schaffen es nur knapp vor den Kreuzfahrtschiffgästen und werden natürlich trotzdem für solche gehalten, was sich eindeutig negativ auf die verlangten Preise auswirkt. Ein Holzschnitzer erklärt uns seine Arbeit. Er arbeitet an einem Rastakopf, den er aus einem Zedernklotz heraus holt. Ein schönes Stück. Wir lungern über den Markt, beaugapfeln Fleisch und Fisch und gehen im Stadtzentrum in ein kleines Freiluftrestaurant im zweiten Stock essen. D.h. die Tische sind unter einem Dach, doch Wände hat die Beiz keine, so dass wir einen schönen Ausblick geniessen und unser erstes authentisches jamaicanisches Geissencurry essen.

   
West Street   in Port Antonio   Dachbar


Wir flanieren bis zur Christ Church und schauen uns die Kirche an. Sie hat zwei wunderschöne blaue Lüster. Danach machen wir uns auf den Heimweg, posten noch ein paar Kleinigkeiten und bereiten dann den Apéro für Denise und Yves von der Ty Tom vor. Die beiden segeln schon seit neun Jahren und haben einiges zu erzählen.

   
Christ Church   Türkisblauer Lüster  

Am Donnerstag nütze ich es aus, dass meine Nähmaschine wieder einwandfrei funktioniert, und nähe einen neuen Prothesenschutz für Martin. Der alte ist am Knie durchgescheuert. Hat immerhin gut zweieinhalb Jahre gehalten, kann man nichts sagen. Nach dem Nähen gehe ich Getränke einkaufe und schleppe Bier und Mineral zum Schiff. Ich nehme noch einen zweiten Anlauf, reserviere ein Mietauto für Samstag und kaufe Fleisch und Früchte auf dem Markt. Martin macht sich in der Zwischenzeit im Internet und im Hafenführer schlau, für welche Marina im Rio Dulce wir uns entscheiden sollen. Zurück auf Suleika muss ich feststellen, dass die angeschnittene Gurke aussaftet und dadurch unser Gemüsenetz ziemlich vermieft ist. Ich leere es und lege es in Javelwasser ein, was ihm ausgesprochen gut bekommt. Als Martin die Schweinskoteletts zum Braten vorbereitet, äussert er sich nicht gerade begeistert über deren Qualität und tatsächlich sind die Dinger ausgesprochen zäh. Schade.

   
Weisse Schönheiten    

Während Martin am Freitag erneut die Ankerwinsch zerlegt und mit Teflonöl schmiert, beginne ich mit der Bestandesaufnahme aller Lebensmittel an Bord. Wir möchten gut auf Kuba vorbereitet sein. Martin gesellt sich zu mir und wir erstellen eine Liste des vorhandenen Essens und eine, was gepostet werden muss. Am Mittag regnet es. Als sich das Wetter im Lauf des Nachmittags beruhigt, machen wir uns zum Grosseinkauf auf. Ein junger Angestellter des Supermarktes wird abdelegiert, uns den überquellenden Einkaufswagen in die Marina zu bringen. Eine echte Kunst bei den Strassen– und Trottoirverhältnissen, die hier in Port Antonio herrschen. Doch macht unser Kuli das eindeutig nicht zum ersten Mal. Wir geben ihm ein Trinkgeld, was ihn total aufstellt.

Voll motiviert gehen wir zur Autovermietung. Wir fahren der Nordküste entlang zur Buff Bay, dann Richtung Süden, dem Buff Bay River folgend, rein in die Blue Mountains.

   
Ungewohntes Verkehrszeichen    

Die Vegetation auf Jamaica ist ein Naturwunder: so viele Grüntöne haben wir noch nirgends gesehen und Blüten in allen Farben und Formen an jeder Ecke. Ein Traum!

   
So grün war mein Tal   Begonie   Jamaica, Land aus Wald und Wasser


Wir folgen der Serpentinenstrasse in die Berge, welche an zwei Orten abgerutscht ist und nur durch ein dreckiges Provisorium ersetzt wurde. Unterwegs sehen wir mit eigenen Augen, wie der berühmte Blue Mountain Coffee den Bergen abgerungen wird. Die Arbeit, welche die Menschen hier in den steilen Hängen leisten, erinnern uns an unsere Bergbauern. Als der Regen immer heftiger wird, halten wir es für klüger umzukehren, solange wir noch davon ausgehen können, dass die provisorischen Strassenstücke unser Auto aushalten...

   
Friedhof im Regenwald   Blue Mountain Coffee   Stromuhr


Wieder am Meer unten belohnen wir uns mit einem Halt bei einem Jerk Food Beizchen. Martin entscheidet sich für Schwein, ich mich für Huhn. Die Fleischstücke werden mit einer äusserst pikanten Marinade behandelt und dann auf einem Holzkohlengrill geröstet. Es schmeckt traumhaft. Da es noch Tag ist, als wir in Port Antonio ankommen, beschliessen wir, das Folly Estate sowie das Trident Castle zu besichtigen. Beim Folly Estate, einer Residenz eines amerikanischen Millonärs, gebaut für seine Freundin, die aber nie gekommen ist, hatten sie den Beton mit Salzwasser gemischt, so dass die Decken nach kürzester Zeit eingebrochen sind.... Eine Bauruine an einem schönen Flecken!

   
Folly Estate    

Wir fahren weiter zum Trident Castle, ein weisses Kitschschlösschen im Stil von Neuschwanstein, einfach viel kleiner, scheinbar gebaut für eine deutsche Comtesse. Wir umrunden das Gebäude, bewundern den Pool, den Innenhof mit dem Brunnen in der Mitte und die Nachbildung der Venus von Milo auf einem Balkönchen, dieses ohne Tür ins Gebäudeinnere. Es dunkelt langsam und wir halten es für weiser, in die Marina zurück zu kehren.

   
Trident Castle   mit Pool   und Innenhof


Wir nutzen den Morgen mit dem Auto, fahren der Nordküste entlang Richtung Osten bis zur berühmten Blue Lagoon. Wir schauen uns ein altes Gingerbread Style Haus aus dem Jahr 1881 an, mit wunderschönem Schmiedeisen. Es wird gerade teilweise renoviert. In der Blue Lagoon ist um diese morgendliche Stunde – und wohl auch sonst – nicht besonders viel los. Es gibt nur ein ganz kleines Stückchen Land, welches für die Allgemeinheit freigegeben ist, der Rest ist in Privatbesitz und hinter Mauern versteckt. Jamaica war bis zu den siebziger Jahren sehr beliebt bei den Reichen und Schönen, doch hat sich das, seit es unabhängig geworden ist, geändert. So sind viele schöne Gebäude und Orte dem Zahn der Zeit ausgesetzt, weil keiner mit Geld mehr da ist, der sich ihrer annehmen würde. Ein Verlust. Bevor wir das Auto abgeben, erklimmen wir mit ihm das Bonnie View Plantation Hotel, von dem aus wir eine Traumaussicht auf Port Antonio und das Meer haben. Danach geben wir das Auto ab und kehren auf Suleika zurück, wo wir allerhand Administratives erledigen.

   
DeMontevin Lodge   Aussicht auf Port Antonio  

Wir stellen fest, dass der Wind ausbleibt, so dass wir unter Umständen unsere Abreise Richtung den Gärten der Königin, Kuba, etwas aufschieben müssen. Wir werden sehen. Auf jeden Fall ist uns von verschiedenen Seiten zugetragen worden, dass es in Kuba extrem schwierig ist, an ein Internet zu kommen. Das bedeutet vermutlich, dass die nächsten zwei bis drei Berichte vorerst ohne Fotos erscheinen werden und wir die Fotos nachreichen, wenn wir wieder in Internetreichweite sein werden.